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Zitat aus: Jan Bleckwedel (2008): "Systemische Therapie in Aktion", 274ff:

Die Welt als Lebensraum - soziale Felder

Kurt Lewin - einer der Pioniere der Sozialpsychologie, der Gruppendynamik und der Aktionsforschung und prominenter Vertreter der Gestalttheorie - geht in seinem feldtheoretischen Ansatz davon aus, dass "der Lebensraum, der die Person und ihre Umwelt umschließt" (Liewin, zit. nach Walter, 1985, S. 65), als Feld betrachtet werden kann. Ausgehende vom allgemeinen Feldbegriff Einsteins versteht Lewin unter einem Feld die Gesamtheit gleichzeitig bestehender Tatsachen oder simultaner Ereignisse, die in Raum und Zeit gegenseitig aufeinander einwirken und voneinander abhängig sind (Lewin, 1963, S. 233).
Laut Lewin entwickeln soziale Felder eigene Feldkräfte, die auf die Personen im Feld zurückwirken. Deshalb muss jedes psychologische Verstehen die Feldsituation berücksichtigen. Nach Lewin entwickelt sich die komplexe Dynamik sozialer Felder in Verbindung mit der Motivlage, die sich aus der Verarbeitung des Vergangenen und den Wünschen für die Zukunft ergibt. Die soziale Feldtheorie geht davon aus, dass individuelles Verhalten jeweils aus der Anordnung psychologisch relevanter Kräfte hervorgeht, die in einem mathematisch rekonstruierbaren Lebensraum, dem Feld, lokalisiert werden können. Handeln ist immer Handeln im Feld. Jede Analyse von Verhalten beginnt daher mit der Untersuchung der Situation, in der Verhalten sich zeigt, wobei die Situation nicht durch physikalische Beschaffenheiten beschrieben wird, sondern durch Personen und das subjektive, psychologische Erleben derjenigen, die sich in einer Situation befinden.
Es scheint mir wichtig zu betonen, dass umgekehrt gilt, dass Personen soziale Felder hervorbringen und auf soziale Felder einwirken. Die Subjekte sind gewissermaßen die Elmentarteilchen sozialer Felder. Anknüpfend an ein modernes Verständnis von Vorgängen in Feldern muss man von einer Dialektik zwischen Personen und Feldern ausgehen. Soziale Felder existieren keineswegs unabhängig von Personen, Raum/Zeit und Umgebung. Personen bringen - durch Handlungen, Emotionen, Gedanken und Ausstrahlung - Felder hervor, während gleichzeitig Feldkräfte auf die Personen einwirken.

Exkurs

In jedem Fall muss man beim Gebrauch des Feldbegriffs bedenken, dass soziale Felder eine gänzlich andere Kategorie von Feld darstellen als elektromagnetische Felder in der Physik. Die Feldanalogie sollte nur mit größter Zurückhaltung und ohne Mystifizierung (Wunderglaube, Hand zum Geheimnisvollen, Glaubensschwärmerei, unklarer, verschwommener Gedankengang) gebraucht werden. In der modernen Physik spielt der Begriff des Feldes eine zentrale Rolle. Ein physikalisches Feld besteht aus einem Raum, der leer oder stofferfüllt sein kann. Beispiele sind Magnetfelder, Kraftfelder, elektrische Felder, Temperaturfelder oder Geschwindigkeitsfelder. Felder werden definiert durch messbare physikalische Eigenschaften (Feldgrößen), die jedem Raumpunkt zugeordnet werden können. Der Vorteil von Feldbeschreibungen liegt in der eleganten Beschreibung komplexer physikalischer Vorgänge in Vielteilchensystemen (den nahen und fernen Wechselwirkungen von Teilchen). Albert Einstein, dessen spezielle Relativitätstheorie den physikalischen Zusammenhang von Geschwindigkeit, Materie und Energie im Universum beschreibt (...) scheiterte jedoch bei dem Versuch, mit einer allgemeinen Feldtheorie alle physikalischen Vorgänge über Felder zu erklären (Einstein, 1916, Einstein u. Infeld, 1938). In der modernen Physik geht man gegenwärtig davon aus, dass Teilchen ein Feld (z.B. in elektromagnetischen Feldern) lokal beeinflussen und diese Auswirkungen über das Feld zurückwirken. Ein Beispiel wäre Licht: Ein Objekt sendet Licht aus und erwärmt ein anderes Objekt, da Licht jedoch auf der wechselseitigen Einwirkung von elektrischen und magnetischen Felder beruht, interagiert das Feld mit sich selbst. Allerdings gibt es bis heute keine einheitliches und befriedigendes physikalisches Verständnis vom Zusammenwirken von Teilchen und Wellen in Feldern (Feldtheorie und Quantentheorie konnten bisher nicht wirklich integriert werden). Aber selbst wenn das der Fall wäre, können physikalische Theorien nicht einfach eins zu eins auf andere Bereiche, zum Beispiel auf psychische oder soziale Phänomen, übertragen werden. Mit einiger Sicherheit gelten jedoch die allgemeinen Gesetze des Universums auch für lebende Systeme. Das bedeutet, dass ernst zu nehmende soziale Feldtheorien die wesentlichen physikalischen Komponenten (Raum, Zeit, Geschwindigkeit, Materie, Energie und Information) und die Zusammenhänge in der Raumzeit (Einstein, 1916) zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen müssen. Jenseits davon liegt das weite Feld esoterischer Spekulationen.

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